Publikation: Landlust neu vermessen
Publikation: Landlust neu vermessen
Wie sich das Wanderungsgeschehen in Deutschland gewandelt hat
Analyse des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot Stiftung zeigt: es ziehen heute mehr Menschen aufs Land als von dort weg. Ohne Zuzug aus dem Ausland würden viele deutsche Großstädte schrumpfen. Vor allem Familien- und Berufswander*innen prägen diese Dynamik.

Rund zwei Jahrzehnte lang zogen die Menschen vorwiegend in die Großstädte, während viele ländliche Regionen Einwohner*innen verloren. Seit einigen Jahren deutet sich eine Trendwende an. Viele Medien berichteten, oft mit Bezug auf eine gestiegene Sehnsucht nach dem Land durch die Corona-Pandemie. Was ist dran an dieser neuen Landlust?

Um das herauszufinden, haben das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und die Wüstenrot Stiftung das Wanderungsgeschehen der vergangenen Jahre unter die Lupe genommen. Dazu wurden die Wanderungsstatistiken der statistischen Ämter von 2008 bis 2020 auf Gemeindeebene analysiert. 

Die » Studie „Landlust neu vermessen“  kommt zu dem Ergebnis, dass eine Landlust in den Statistiken nachweisbar ist. Es ziehen inzwischen mehr Menschen aufs Land als von dort weg. Ohne Zuzug aus dem Ausland würden heute viele Großstädte Wanderungsverluste erleben. Berlin, Hamburg, Köln, München, Stuttgart und zahlreiche weitere Städte verzeichnen bei den innerdeutschen Wanderungen teilweise hohe Verluste. Bei den Menschen, die innerhalb Deutschlands umziehen, sind vor allem ländliche Regionen begehrt.

Dabei stellen die Autor*innen fest: nicht nur Gemeinden in der Nähe von Großstädten verzeichnen Wanderungsgewinne, sondern auch viele abgelegene Regionen gewinnen Bewohner*innen durch Umzüge hinzu. Die Dynamik zwischen Ost- und Westdeutschland hat sich dabei weitgehend angeglichen, da die seit der Wiedervereinigung anhaltend starke Abwanderung aus den ostdeutschen Bundesländer Richtung Westen gestoppt ist.

Das Wanderungsgeschehen ist insbesondere geprägt von besonders mobilen „Berufswander*innen“ zwischen 25 und 29 Jahren und der „Familienwander*innen“ zwischen 30 und 49 Jahren mit ihren minderjährigen Kindern. Beide Gruppen ziehen heute häufiger auch in abgelegene, dünn besiedelte ländliche Regionen als sie diese verlassen – anders als zehn Jahre zuvor. Als Erklärung nennt die Studie vollere und teurere Städte, landkompatible Berufe durch die Digitalisierung und eine durch die Corona-Pandemie gewachsene Sehnsucht nach dem Land.

Die Landlust zeigt sich aber nicht nur im Zuzug aus den Städten, sondern auch im Dableiben der Landbewohner*innen. Die Pandemie scheint beide Entwicklungen, die sich in den Jahren zuvor bereits zunehmend abzeichneten, einen Schub verliehen zu haben. Allerdings stellt die Studie auch fest, dass der vermehrte Zuzug den Bevölkerungsrückgang vielerorts nicht aufhält. Wanderungsgewinne reichen oftmals nicht aus, um die natürliche Bevölkerungsentwicklung – also die Differenz aus Geburten und Sterbefällen – auszugleichen.

Die Autor*innen nennen auf Basis dieses Wanderungsgeschehen eine Reihe von Empfehlungen für Kommunen: sich für Zuzug attraktiv zu machen, beispielsweise durch die Verfügbarkeit von Glasfaser-Internet; die demografische Entwicklung im Blick zu behalten und die Situation realistisch zu bewerten; und letztlich auch das Zusammenleben zwischen alten und neuen, älteren und jüngeren Bewohner*innen gemeinsam zu gestalten.