Im Gespräch: IMPULS und ISDN
Über die Sicherung, Anpassung, Neuausrichtung und Weiterentwicklung kommunaler Daseinsvorsorge
Wie kann die kommunale Daseinsvorsorge angesichts demographischen, strukturellen und klimatischen Wandels erhalten und weiterentwickelt werden? Die Verbundvorhaben IMPULS und ISDN gehen dieser Frage nach und erläutern, welche Potentiale Kommunen in ländlichen Regionen besitzen, welche Synergieeffekte und Hemmnisse bei interkommunaler Zusammenarbeit auftreten und wie Daseinsvorsorge und Nachhaltigkeit in den Projekten zusammengedacht werden.

Die Sicherung der Daseinsvorsorge und entsprechender öffentlicher Dienstleistungen ist Kernthema der "Kommunen innovativ"-Verbundvorhaben "IMPULS – Kommunen- und Landkreisübergreifende Daseinsvorsorge in der Planungsregion Harz" und "ISDN – Integrierte Strategie für Daseinsvorsorge und Nachhaltigkeit in ländlichen Räumen". Angesichts der Folgen des demographischen und strukturellen Wandels stehen vor allem ländlich geprägte Kommunen in strukturschwachen Regionen vor der großen Herausforderung, die kommunale Daseinsvorsorge zu sichern. Einerseits stehen Kommunen vor der Aufgabe, Infrastrukturen der Daseinsvorsorge zu erhalten und effizient zu organisieren. Andererseits müssen sie diese Infrastrukturen im Hinblick auf Klimawandel und Digitalisierung neuen Bedarfen und Anforderungen anpassen. Da in den Städten und Gemeinden die Ressourcen und Kräfte endlich sind, ist die Zusammenarbeit zwischen Kommunen zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der kommunalen Daseinsvorsorge eine zentrale Strategie zur Bewältigung dieser Aufgaben.

Beide Verbundvorhaben haben es sich zum Ziel gemacht, innovative Lösungen zur Neuausrichtung von Infrastrukturen und Leistungsangeboten der Daseinsvorsorge zu entwickeln. Das Verbundvorhaben » IMPULS strebt ein funktionsteiliges Oberzentrum in der Harzregion an und möchte so über ein städtisches Kooperationsmodell besonders spezialisierte und hochwertige Dienstleistungen der Daseinsvorsorge regional nachhaltig planen und managen. » ISDN widmet sich der Frage, was ländliche Regionen und Kleinstädte angesichts des demografischen, strukturellen und klimatischen Wandels für Potentiale nutzen und einbringen können, um kommunale Daseinsvorsorge nachhaltig und zukunftsfähig aufzustellen. Dafür entwickelt ISDN das Instrument des Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK) weiter.

Prof. Dr. Stefan Greiving (Leiter des Instituts für Raumplanung IRPUD an der Technischen Universität Dortmund; Foto: DLR, Lea Adams)

Dr. Arvid Krüger (Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Stadterneuerung und Planungstheorie an der Universität Kassel; Foto: Thomas Müller)

Sven Schrade (Bürgermeister der Stadt Schmölln in Thüringen)

Welche Potentiale ländlicher Regionen und Kommunen greifen Sie in Ihrem Vorhaben auf, um die kommunale Daseinsvorsorge zukunftsfähig zu gestalten? Wie nutzen Sie diese Potentiale?

Prof. Dr. Stefan Greiving (IMPULS): "Im IMPULS-Projekt werden vor allem die endogenen Potentiale der Städte als Entwicklungsmöglichkeiten gesehen. Die Städte Halberstadt, Wernigerode und Welterbestadt Quedlinburg sollen ihre bestehenden Stärken und Profilierungen weiterentwickeln und dabei ihre gegenseitigen Ergänzungspotenziale ausbauen. Zum Beispiel wird die touristische Funktion der Städte hervorgehoben, da der Harz landschaftlich viel zu bieten hat.

Ein großes Potential haben die Städte aufgrund von größeren Flächenressourcen und günstigeren Baulandpreisen im Landesvergleich. Zusätzlich zu der zentralen Lage in Deutschland machen diese Faktoren den Harz zu einem attraktiven Standort für Mittel- und Großunternehmen sowie Industrie. Die Ansiedlung von solchen Großunternehmen wie Daimler-Truck mit zahlreichen Arbeitsplätzen in Halberstadt dient verstärkt als Argumentation für ein Oberzentrum. Im Rahmen der zahlreichen Partizipations- und Beteiligungsformaten wurde gemeinsam mit den Expert*innen aus der Region über einen weiteren Ausbau und Handlungsmöglichkeiten in diesen Feldern gesprochen."

Dr. Arvid Krüger und Sven Schrade (ISDN): "Potentiale ländlicher Regionen und Kommunen sind unter anderen „kurze“ horizontale Entscheidungswege. Insbesondere Kommunen verfügen über einen personell überschaubaren Verwaltungsapparat, der sie gewissermaßen zwingt, komplexe Verfahren noch outputorientierter zu bearbeiten als dies in Verwaltungseinheiten großstädtischer Exekutiven der Fall sein dürfte. In fast allen Fällen sind immer ohnehin die beteiligten Verwaltungsstellen mit am Tisch – integriertes Denken lässt sich so leichter anregen. Zum anderen stellt sich die Vielzahl an Einrichtungen der Daseinsvorsorge, bspw. Bürgerhäuser, Sportanlagen oder auch Bildungseinrichtungen als wucherndes Pfund der Lebenswertigkeit im ländlichen Raum dar. Um diese Einrichtungen zukunftsfähig zu erhalten, bedarf es u.a. der demografischen Anpassung unter Berücksichtigung global nachhaltiger Ziele (wie dem Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs). Gerade im ländlichen Raum nimmt ein an vielen Orten noch auszubauender ÖPNV eine zentrale Funktion wahr. Er ist gewissermaßen Gelingensbedingung für eine funktionierende Daseinsvorsorge."

Inwiefern fördert Ihr Projekt die Vernetzung und den Austausch zwischen Kommunen zur Stärkung der Daseinsvorsorge? Wo sehen Sie Synergieeffekte und Hemmnisse?

Prof. Dr. Stefan Greiving (IMPULS): "Das IMPULS-Projekt und der darin integrierte Reallabor-Ansatz mit seinen kooperativen Formaten hat eine Gelegenheit und Rahmen für eine engere Zusammenarbeit der Städte geschaffen. Ein regelmäßiger Austausch der Partnerstädte, gemeinsame Gestaltung von Partizipationsformaten, Bürgermeistergespräche, Erarbeitung eines gemeinsamen Leitbildes sind die Indikatoren dafür, dass die Kommunen an einer gemeinsamen Entwicklung interessiert sind. Im Rahmen der zahlreichen Interaktionsformate werden auch die benachbarten Mittelzentren in den Dialog eingebunden, um die möglichen Auswirkungen eines Oberzentrums in der Region zu prüfen und Konflikte zu vermeiden.

Als Hemmnisse lassen sich die eher mangelnden Erfahrungen in der Kooperation und Zusammenarbeit der Städte feststellen. So wird zum Teil auch ein Konkurrenzdruck der Akteur*innen der drei Städte beobachtet, indem davon ausgegangen wird, dass bei der Profilierung einer Stadt die andere dagegen in diesem ausgewählten Bereich benachteiligt werden könnte. Das Verständnis darüber, dass alle Städte in gleichem Maßen profitieren, sollte stärker in den zukünftigen Beteiligungsformaten in der Region kommuniziert werden."

Dr. Arvid Krüger und Sven Schrade (ISDN): "Von Beginn an war nicht nur die Stadt Schmölln in das Projekt involviert, sondern auch die Nachbarstadt Gößnitz, mit der Schmölln im Verbund ein Mittelzentrum bildet. Beide Kommunen konnten ihre verwaltungsmäßige Zusammenarbeit auch durch das Forschungsvorhaben intensivieren. Berücksichtigung fand ebenfalls der Umstand, dass einige dörfliche Gemeinden erst vor wenigen Jahren eingemeindet wurden; Untersuchungsgegenstand war daher auch, wie vormals interkommunales Agieren zu intrakommunalem Agieren wurde. In die Erstellung einer Strategie für Daseinsvorsorge und Nachhaltigkeit in ländlichen Räumen ist als Netzwerkpartner das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales sowie das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft eingebunden. So soll sichergestellt sein, dass auch andere Kommunen von den Erkenntnissen der Forschungsarbeit profitieren können. ISDN selbst ist Anlass, um Kommunen in der Region zu informieren. ISDN stellt im Zuge der Öffentlichkeitsarbeit selbst gelungene Beispiele der Daseinsvorsorge (bspw. den Gesundheitsbahnhof im Schmöllner Ortsteil Nöbdenitz) in den Fokus und will zur Nachahmung anregen. Gerade hier zeigte sich beispielhaft die Stärke einer weniger komplexen Verwaltungsstruktur: Es ging leichter, in der amtsfreien Gemeinde Schmölln (mit Ortsteil Nöbdenitz) das Handeln von kommunaler Exekutive und Legislative auf dieses Projekt der Daseinsvorsorge zu fokussieren als in der vormaligen Struktur einer Verwaltungsgemeinschaft, wo territorial die exekutive Ebene und die demokratische Entscheidungsebene auseinanderfielen. Denn der Gesundheitsbahnhof ist nicht nur eine Daseinsvorsorge für ein Dorf, sondern ein Element der Daseinsvorsorge für das „StadtLand“-Territorium, dass aus Schmölln, Gößnitz und den circa 50 Dörfern beider Gemeindegebiete besteht."

Beide Projekte formulieren das Ziel, Daseinsvorsorge und Nachhaltigkeit angesichts Klimawandel und Klimaanpassung zusammenzudenken: Welche konkreten Anforderungen erwachsen aus diesem Anspruch?

Prof. Dr. Stefan Greiving (IMPULS): "IMPULS begegnet die aktuellen Herausforderungen des Klimawandels und der Sicherung der Daseinsvorsorge auf eine vielfältige Art und Weise. Im Hinblick auf die verbesserte Daseinsvorsorge und stärkere Funktionsergänzung der Städte kann man perspektivisch von kürzeren Wegen zu den infrastrukturellen Einrichtungen mittelzentraler bis oberzentraler Bedeutung sprechen. Zusätzlich kann von einer ressourceneffizienteren Nutzung der Daseinsvorsorge ausgegangen werden, indem die Städte sich zukünftig stärker profilieren und somit doppelte Strukturen vermieden werden.

In Bezug auf den Klimaschutz setzt die Region Harz die Bundespläne zum Thema erneuerbare Energien aktiv um und fördert den Windenergieausbau. Es ist zwar bislang kein eigenständiges Handlungsfeld, allerdings wird das Thema Klimawandelanpassung mittelbar über die interkommunale Zusammenarbeit im Bereich der Gefahrenabwehr als Teil der Daseinsvorsorge thematisiert.

Eine konkrete Anforderung resultierend aus dem Anspruch der verbesserten Daseinsvorsorge ist ein noch stärkerer demografischer Wandel, welcher die altersgerechte Anpassung der Infrastruktur unabdingbar macht. Damit verbunden ist auch die Anforderung an eine bessere medizinische Versorgung. Diese gehört bereits zu einem prioritäreren Handlungsfeld vom IMPULS."

Dr. Arvid Krüger und Sven Schrade (ISDN): "Klimaanpassung betrifft am Ende jeden einzelnen Quadratmeter Deutschland. Es benötigt aber unterschiedliche Strategien der Umsetzung, die sehr viel mit der Menge an Platz zu tun haben, der vor Ort zur Verfügung steht. Wenn in der Großstadt der öffentliche Raum Starkregenereignisse und Hitzewellen „auffangen“ soll, dann muss dort der Platz neu aufgeteilt werden; das bedeutet z.B. weniger Platz für parkende Autos. In der Kleinstadt ist nicht der mangelnde Platz für parkende Autos ein Problem, sondern die Seltenheit des Öffentlichen Nahverkehrs, der in der Großstadt wiederum mehrmals pro Stunde und zum Teil die ganze Nacht unterwegs ist. Lösungen müssen also passfähig sein – und nicht jede Lösung ist eine Antwort auf Fragen, die sich z.B. in einer Kleinstadt nicht oder anders stellen als in der Großstadt. Doch es braucht Schnittstellen, denn oft ist das Gefühl des „Abgehängtseins“ viel zu wörtlich. Kleinstädte wie Schmölln waren und sind mit „ihrer“ nächstgelegenen Metropolregion (hier: Leipzig) verknüpft. Gegen das „Abgehängtsein“ hilft bereits, wenn es unkompliziert wird, mehrmals pro Woche „vom Land in die Stadt“ zu pendeln, egal ob es sich um metropolitane Fachkräfte mit Arbeitsplatz in Schmölln handelt oder Jugendliche, die auch bei Studienplatz in Leipzig lieber in Gößnitz in der WG wohnen. Verkehrswende heißt dann, nicht von Schmöllner Bürgern zu erwarten, mit dem E-Roller über die Landstraße zwischen den LKWs ins Gewerbegebiet (die gebraucht werden!) zu fahren, wenn man vom Dorf zum Bahnhof möchte – und es lohnt sich auch für Schmöllner Autofahrer, den innerstädtischen Stau in Leipzig zu vermeiden. Ein Transitort, der zwischen klimafreundlichen Verkehrsarten auf dem Land und in der Stadt vermittelt, ist dann nicht nur ein Ort der Verkehrswende, sondern auch ein Ort der Daseinsvorsorge; denn dort, wo man umsteigt, lohnt es sich dann, Angebote der Daseinsvorsorge zu bündeln."